Leseprobe »Pannenhilfe für die Liebe«

1

Jorge

 

Zufrieden räume ich mein Werkzeug zusammen, fahre den reparierten Wagen aus der Werkstatt und gebe im Büro Bescheid, dass der Kunde das Fahrzeug abholen kann. Schnell ziehe ich mich um, packe das von meiner Mutter vorbereitete Essen in den Kofferraum und fahre nach Hause. Zwar habe ich noch ein paar Stunden Zeit, bis ich an der Strecke sein muss, aber dann habe ich, bis die anderen Fahrer eintrudeln, schon alles vorbereitet und kann gemütlich zusehen, wie Hektik ausbricht, weil ein Schraubenschlüssel nicht auffindbar oder der Schutzhelm spurlos verschwunden ist. Der normale Wahnsinn auf der Kartbahn an einem Rennwochenende eben.

Der heutige Trubel wird jedoch weit über das übliche Maß hinausgehen. Aus demselben Grund, der auch bei mir ein aufgeregtes Kribbeln verursacht: Magnus Benton.

Bis zu meinem Unfall waren wir unzertrennlich. Jede freie Minute hatten wir gemeinsam auf der Kartbahn meines Vaters verbracht. So auch meinen zwölften Geburtstag.

Ich packe frische Kleidung zusammen und stelle mich unter die Dusche. In Gedanken bin ich bei diesem Tag vor über zehn Jahren. Aufgeregt war ich aus dem Bett gesprungen. Ich hatte all meine Freunde zur Feier einladen dürfen. Mein Dad hatte einen »Rennplan« aufgestellt. Natürlich war ich davon ausgegangen, dass entweder Magnus oder ich als Sieger aus diesem Wettkampf hervorgehen würden. Schließlich fuhren wir beide schon seit vielen Jahren nicht nur einfach so. Wir bestritten auch richtige Rennen. Fast jedes Wochenende waren wir mit unseren Vätern unterwegs. Zwischen uns herrschte ein ständiger Konkurrenzkampf, der unsere Freundschaft kaum beeinträchtigte. Wir freuten uns mit dem jeweils anderen über einen Sieg. Natürlich war es in den Jahren einfacher, in denen wir in verschiedenen Altersgruppen fuhren. Zur Feier des Tages hatten wir die Halle für uns. Vor lauter Aufregung verschmähten die meisten den von meiner Mutter gebackenen Kuchen. Wir hatten unheimlich viel Spaß. Natürlich würde es keine Verlierer geben. Außerdem hatte mein Vater darauf geachtet, dass Magnus und ich erst im letzten Rennen aufeinandertreffen würden. Bis dahin war ich voller Adrenalin und wollte unbedingt gewinnen.

Ein kleiner Verbremser auf der Bahn, die ich in- und auswendig kannte, reichte aus, um mich in die Streckenbegrenzung zu schicken. Bis heute habe ich keine Erklärung dafür, wie mein linker Fuß trotz vorschriftsmäßigem Schutz zwischen Kart und Reifenstapel gelangt ist. Tatsache ist jedoch, dass ich mir dabei das Sprunggelenk zertrümmert habe. Als Andenken an diesen Tag humple ich noch heute. Mal mehr, mal weniger stark. Meine Rennkarriere war jedenfalls zu Ende, bevor sie so richtig angefangen hatte. Das war am Anfang nicht leicht zu verkraften, was zum Bruch mit Magnus führte. Ich konnte ihn nicht begleiten und ihn anfeuern, ohne daran zu denken, was ich verloren hatte. Damals genügte es mir noch nicht, nur der Bastler zu sein. Zwei Jahre später war er dann weggezogen.

Meine Nachforschungen im Internet haben ergeben, dass er ab dieser Zeit in Frankreich lebte. Seit nunmehr drei Jahren fährt er nach diversen Erfolgen in niedrigeren Klassen in der Formel 1 mit. Und heute nun, genau dreizehn Jahre nach diesem schicksalsträchtigen Tag, kehrt er in mein Leben zurück. Natürlich ist es Zufall, dass ausgerechnet er den Siegerpokal überreichen wird. Sicher wird er sich an den Ort erinnern. Wir sind oft zusammen die hundert Kilometer gefahren, um etwas Abwechslung in unser Training zu bringen. Ob er sich an mich erinnert hat, als er es erfahren hat?

Meine Haut ist zwischenzeitlich ziemlich schrumpelig geworden, so lange stehe ich jetzt schon gedankenverloren unter dem warmen Wasserstrahl. Ich brumme unwillig. Automatisch wandern meine Gedanken weiter. Das Leben hat es trotz allem gut mit mir gemeint. Meine Ausbildung zum Mechatroniker habe ich im Betrieb meines Vaters absolviert. Dort arbeite ich auch heute noch. Mein Vater leitet die Werkstatt, dafür kümmere ich mich zusätzlich um die Kartbahn. Auch wenn die Zeiten schon mal besser waren, kann ich mich nicht dazu durchringen, sie zu verkaufen. Das freudige Strahlen der Jungs und Mädchen, die an der Hand ihrer Väter die Halle betreten, eifrig meinen Erklärungen lauschen und dann vorsichtig die Runden drehen, sind einfach das Größte. Es wiegt all den Aufwand und die investierte Zeit auf. Noch schöner finde ich oft die Augen der Väter, die ihre Kinder stolz beobachten. Natürlich kommen auch hin und wieder Mütter mit. Aber das ist doch eher selten, obwohl es ja zwischenzeitlich viele motorsportbegeisterte Frauen gibt. Nur interessieren Mütter mich so gar nicht. Keine verheirateten und auch keine alleinerziehenden. Da können sie mich noch so bewundernd anschmachten in ihren engen Jeans und den knappen Oberteilen. Bringt bei mir gar nichts. So ein Kerl in dem Outfit hingegen, da sieht das schon ganz anders aus. Wenn das Gesamtpaket passt, darf es von mir aus gern auch das glitzernde Discotop sein.

Unwillkürlich frage ich mich, was Magnus heute tragen wird. Er war schon früher ein hübscher Kerl. Im Nachhinein betrachtet war ich wohl ein bisschen verliebt in ihn. Aber wer weiß das mit zehn, elf Jahren schon so genau. Erst als er weg war, habe ich gemerkt, dass er einen Großteil des Platzes in meinem Herzen eingenommen hatte. Noch viel später habe ich kapiert, dass ich mehr als Freundschaft für ihn empfunden habe. Außerdem ist das verdammt lange her.

Über diese Gedanken habe ich mich angezogen. Aus dem Kühlschrank nehme ich einen Energydrink und einen Schokoriegel, schnappe meine Tasche mit dem Overall und frischer Unterwäsche und gehe zum Auto. Nach einem letzten prüfenden Blick in den Kofferraum steige ich ein und fahre los.

Das Auto ist mein einziger materieller Luxus. Der V8 Motor liefert 468 PS, die eine Spitzengeschwindigkeit von knapp 260 km/h ermöglichen. Nur weil ich keine Rennen mehr fahren kann, heißt das ja nicht, dass ich schleichen muss wie eine Schnecke. Allerdings bin ich kein aggressiver Autofahrer. Die Höchstgeschwindigkeit kenne ich nur von einem Wochenende beim Fahrsicherheitstraining in Hockenheim. Und nein, ich muss auch keinen zu klein geratenen Schwanz kompensieren, was Fahrern von ordentlich motorisierten Autos ja gern unterstellt wird. Allerhöchstens ein recht brachliegendes Liebesleben. Die meiste Zeit des Tages verbringe ich entweder im Betrieb meines Vaters oder eben auf der Kartbahn.

Es gab durchaus Zeiten, da war das anders. Ich war jeden Abend unterwegs in den Clubs in der Stadt, habe kaum eine Nacht zu Hause geschlafen. Es erfüllte seinen Zweck, ich hatte keine Zeit, viel nachzudenken. Nicht über meine Behinderung und schon gar nicht an ihn …

Tanzen und Sex lenkten mich von der Leere in meinem Inneren ab, wie es heute die Werkstatt und die Kartbahn tun. Und meine Mutter schimpft nicht dauernd, dass ich besser auf mich achtgeben soll. Höchstens, dass ich zu viel arbeite. Aber ich brauche die Arbeit, um mich normal zu fühlen. Wenn ich an einem Auto arbeite, fragt niemand, warum ich humple oder sieht mich komisch an. Es interessiert schlicht niemanden von meinen Kollegen. Und die Sache mit der ewigen Liebe ist sowieso Quatsch. Unwillig schüttle ich den Kopf. An diesen Teil meines Lebens will ich ganz sicher nicht denken.

Ja, Magnus ist noch immer eine Sahneschnitte. Und hetero. Also muss ich gar nicht erst anfangen, weiter darüber nachzudenken, was wäre wenn … Schon als Jugendlicher liebte ich die blonden Haare, wie sie nur Nordeuropäer haben können, und seine strahlend blauen Augen. Wie damals wirkt er heute in Interviews immer leicht verschlossen. Außenstehenden fällt es vermutlich nicht auf, aber seine Augen verraten ihn. Schon immer liebte ich es, wenn sie vor Freude strahlen, noch lange bevor er lächelt. Auch das hat sich in den letzten Jahren nicht geändert. Manchmal frage ich mich, ob den Reportern klar ist, dass er ihnen nur was vormacht und nur das sagt, was sie hören wollen.

Vorübergehend stelle ich meine Grübeleien ein und konzentriere mich auf den Verkehr. Ursprünglich hatte ich vor, über die Autobahn zu fahren. Da ich wesentlich früher als gedacht unterwegs bin, entschließe ich mich, die Landstraße zu nehmen. Der Frühling siegt langsam, aber sicher über den Winter. Die letzten Schneereste sind verschwunden, die ersten Krokusse malen kleine Farbtupfer in die Vorgärten. Einige haben bereits die lustigen bunten Plastikeier an die Büsche und Sträucher gehängt. Auch meine Mutter liegt mir in den Ohren, dass ich die Weihnachtsdeko endlich gegen die Ostersachen austauschen soll. Aber irgendwie habe ich immer etwas anderes zu tun und schiebe diese Aufgabe vor mir her.

Ich fahre gerade um eine Kurve, da sehe ich am Straßenrand ein Warndreieck stehen. Automatisch suche ich den weiteren Straßenverlauf nach dem Pannenfahrzeug ab. Tatsächlich sehe ich hinter der nächsten Kurve ein Auto stehen. Ein Mann im Anzug läuft telefonierend hin und her. Aber immerhin hat er das Warndreieck richtig aufgestellt, nicht wie meistens üblich nur ein paar Schritte von der Gefahrenstelle entfernt. Ich lasse das Auto ausrollen und komme ein paar Meter hinter dem Wagen zum Stehen. Es ist nicht einfach ein Auto, sondern das, was man als Angeberkarre bezeichnet. Ein schnittiges Cabrio, dunkelblau. Natürlich ist das Verdeck offen. Immerhin haben es ja schon fünf Sonnenstrahlen durch die Wolken geschafft an diesem Freitagnachmittag. Würde mir auch gefallen, aber leider ist der Kofferraum in dem Ding nur dem Namen nach vorhanden. Für meine Zwecke also vollkommen untauglich. Überhaupt würden es mir die weißen Ledersitze sicherlich übel nehmen, wenn ich ständig mit meinen Arbeitsklamotten auf ihnen Platz nehmen würde. Von den diversen Schraubenschlüsseln, die ich so im Laufe des Tages in meinen Overall stecke, mal ganz zu schweigen. Der Fahrer beäugt mich skeptisch, als ich aussteige und auf ihn zugehe. Er sieht mindestens so schick aus wie das Auto. Er trägt eine dunkelgraue Stoffhose, dazu ein weißes Hemd, die Krawatte hat er anscheinend passend zur Wagenfarbe gekauft, wie ich belustigt feststelle. Die fast schwarzen Haare sind kurz gehalten und der akkurate Schnitt wirkt durch das Haargel, das er offenbar großzügig in der Frisur verteilt hat, streng und geradezu schleimig. Auf den ersten Blick ein typischer Spießer, der es gewohnt ist, dass die Leute nach seiner Pfeife tanzen. Dennoch kann ich ihm eine gewisse Attraktivität nicht absprechen. Außerdem ist es wohl unfair, jemanden nur nach seinem Äußeren zu beurteilen. Womöglich ist es gar nicht sein Wagen oder er ist gerade auf dem Weg zu seiner Schwiegermutter, weshalb er sich so in Schale geworfen hat.

»Ja, ich warte. Was soll ich auch sonst tun?«, verkündet er seinem Gesprächspartner gerade und drückt dann das Telefonat weg. Autsch, charmanter Zeitgenosse. Egal, ich hab mir die Suppe eingebrockt, da muss ich sie wohl auch auslöffeln. Schließlich kann ich ihn ja nicht einfach hier stehen lassen, egal ob er es meiner Meinung nach verdient hat oder nicht.

»Hallo. Kann ich vielleicht helfen?«, frage ich höflich. Der Kerl unterzieht mich einer kritischen Musterung. Anscheinend kommt er aber immerhin zu dem Ergebnis, dass ich nicht aussehe wie ein psychisch gestörter Mörder auf der Suche nach seinem nächsten Opfer. Außerdem will ich nur mal einen Blick unter seine Haube werfen und nicht ihm an die Wäsche. Wobei er bestimmt ganz ansehnlich aussieht ohne die Klamotten. Der Hintern sieht auch so schon recht nett aus. Dazu schmale Hüften und breite Schultern. Oh Mann, ich sollte echt mal wieder ein bisschen Spaß haben. Schnell konzentriere ich mich auf das Fahrzeug, indem ich mir die verschiedenen Modellvarianten in Erinnerung rufe. Kann ja nicht angehen, dass ich diesen Kerl jetzt auch noch mit offenem Mund anstarre. Wie von selbst rattert mein Hirn ein paar Dinge herunter, die an dem Teil auf jeden Fall noch verbessert werden sollten. Tieferlegen geht immer und die Serienbereifung sieht echt lächerlich aus. Da gehören ordentliche Reifen drauf, nicht diese Spielzeugteile. Binnen Sekunden habe ich eine ordentliche Liste zusammengestellt.

»Können Sie das denn?« Skeptisch zieht er eine Augenbraue nach oben.

»Ich schätze, das sollte ich gerade noch so hinbekommen«, erwidere ich übertrieben freundlich und deute auf meinen Wagen, an dessen Beifahrertür Werbung für die Werkstatt meines Vaters prangt.

»Na gut, von mir aus. Aber seien Sie vorsichtig«, erklärt er dann und wedelt mit der Hand unbestimmt in Richtung des Autos. Noch immer sieht er ziemlich grimmig aus. Wahrscheinlich ist er schon so auf die Welt gekommen. Zum Glück sind meine Kunden meistens nett. Ich bitte ihn, die Motorhaube zu entriegeln. Das fragende Gesicht, das er darauf macht, erklärt mir alles. Kohle wahrscheinlich zum Drinbaden, aber nicht die geringste Ahnung von Autos. Wahrscheinlich würde er auch die Werkstatt anrufen, wenn mal die Batterien seiner Fernbedienung leer sind. Ich seufze innerlich und öffne die Tür.

»He! Was machen Sie denn da?«

»Wonach sieht es wohl aus? Ich öffne die Motorhaube.«

»Passen Sie bloß auf! Ansonsten zahlen Sie die Reinigung«, blafft er mich an. Ich gebe zu, ich hätte nicht übel Lust, mich einfach wieder umzudrehen und zu verschwinden. Aber wer weiß? Vermutlich bekomme ich dann noch eine Anzeige an den Hals. Außerdem spricht ja eventuell nur die Aufregung aus ihm. Schnell entriegele ich die Motorhaube und öffne diese mit wenigen Handgriffen. Der Motorraum ist jungfräulich sauber, kein Öl oder sonstige Flüssigkeit zu sehen. Routinemäßig sehe ich mir die Verschlüsse der verschiedenen Behälter an, scheint aber alles in Ordnung zu sein.

»Was ist denn überhaupt passiert?«, frage ich und sehe mich zu ihm um. Erschrocken stelle ich fest, dass er direkt neben mir steht.

»Keine Ahnung. Bin vor einer Viertelstunde von meinem letzten Termin losgefahren und wollte nur noch nach Hause, da ging dann plötzlich so eine Warnlampe an. Also hab ich angehalten und den Pannenservice angerufen. Der Kerl meinte, ich solle auf keinen Fall weiterfahren.«

Wow, so viele Worte. Noch dazu mit einer so tollen Stimme, die so gar nicht zu seinem Auftreten passt. Allerdings klingt er immer noch leicht überheblich und genervt. Ist ja aber nicht meine Schuld, dass sein Spielzeug kaputt ist. Überhaupt hasse ich diese Erklärungen. Einfach so macht kein Auto Probleme. Aber mindestens einmal pro Woche kriege ich ein Auto mit genau dieser Problemschilderung unter die Finger. Meistens von technisch unbedarften Hausfrauen. Die meisten sind jedoch wenigstens in der Lage, auf komische Geräusche oder seltsamen Geruch hinzuweisen.

Zur Sicherheit werfe ich einen Blick auf die Anzeige, nur um sicherzugehen, dass nicht einfach das Wischwasser leer ist. Tatsächlich wird ein Fehler in der Motorsteuerung angezeigt. Innerlich seufzend mache ich mich auf den Weg zu meinem Van, nehme meinen Werkzeugkasten und eine Schutzdecke heraus. Argwöhnisch sieht er mir zu, wie ich die Abdeckung entferne und mir die Kabel darunter näher ansehe. Auch hier nicht das geringste bisschen Schmutz. Sieht aus, als hätte ich ein fast neues Auto vor mir. Um so seltsamer, dass es zickt. »Lassen Sie mal bitte den Motor an«, fordere ich Mr. Maßanzug auf. Der sieht mich an, als hätte ich vollkommen den Verstand verloren oder ihn aufgefordert, sich nackt auszuziehen. Ich seufze innerlich. »Da passiert schon nix, ich muss mir nur mal den Motor anhören. Explodieren tun die Dinger heutzutage nur noch sehr selten.« Mein Scherz kommt nicht so an, wie ich gehofft hatte. Der Kerl schnaubt, setzt sich dann jedoch in Bewegung. Ich streife meine hitzeabsorbierenden Handschuhe über, während er aus meinem Sichtfeld verschwindet. Ein kurzes Ruckeln kündet davon, dass er sich hinters Steuer gesetzt hat. Gleich darauf schnurrt der F23 leise und sanft vor sich hin. Ich schließe die Augen und konzentriere mich auf das Geräusch. Gerade als ich denke, dass die Ursache woanders liegen muss, nehme ich eine kleine Störung in dem Brummen wahr. »Okay, reicht«, rufe ich und fast sofort erstirbt der Motor. Kabel für Kabel sehe ich mir an. Erst beim letzten werde ich tatsächlich fündig. Bissspuren und ein kleiner Riss in der Isolierung. Sieht nach dem Werk eines Marders aus. Komisch, dass er gerade diese Stelle erwischt hat. Im Kopf gehe ich meinen Bestand an Ersatzteilen durch, sowohl hier als auch in der Werkstatt. Rein theoretisch hätte ich genug Zeit, dort etwas zu holen. Aber weder dort noch hier bin ich auf die Reparatur eines solchen Autos vorbereitet. Hilft nur Plan B.

»Und?«, verlangt der Besitzer Auskunft. Erneut frage ich mich, warum ich nicht einfach weitergefahren bin. Innerlich mit mir schimpfend teile ich ihm möglichst sachlich das Ergebnis meiner Untersuchung mit. Gleichzeitig verkünde ich, dass ich den Schaden beheben kann. Eigentlich rechne ich damit, dass er das ablehnen wird. Umso erstaunter bin ich über seine Antwort.

»Das wär wirklich sehr nett von Ihnen. Der Typ vorhin meinte nämlich, dass es bis zu zwei Stunden dauern kann, bis er jemanden schicken kann.«

Ich glaube tatsächlich wenigstens die Andeutung eines Lächelns zu erkennen. Steht ihm richtig gut, wenn er nicht aussieht wie drei Tage Regenwetter. Auch der Tonfall war wesentlich ruhiger, als ich ihm überhaupt zugetraut hätte. Ob da noch mehr geht? Vielleicht wenn ich mit der Zunge … Ach verdammt.

»Dauert nur ein paar Minuten«, sage ich und mache mich ans Werk. »Allerdings sollten Sie das gesamte Zündkabel so schnell wie möglich austauschen lassen.«

Wenig später ist die defekte Stelle entfernt, die Teile mittels Metallstift aufeinander gesteckt und mit Isolierband fixiert. Neugierig sieht er mir über die Schulter, ab und zu berührt er mich dabei. Normalerweise nervt es mich, wenn mir meine Kunden über die Schulter schauen. Kurz bin ich sogar versucht, ihn zu fragen, ob er es selbst machen möchte, wenn er solche Angst hat, dass ich etwas falsch mache. Stattdessen beiße ich mir auf die Zunge und arbeite weiter. Außerdem riecht er gut. Ein bisschen wie das Eau de Toilette von Toni, allerdings dezenter. Was es, im Gegensatz zu der Duftwolke bei meinem Freund, angenehmer macht. Dazu ein Hauch Desinfektionsmittel oder etwas Ähnliches. Seltsame Kombination. Nicht dass ich ständig durch die Gegend laufe und an fremden Menschen rieche. In der Werkstatt hängt ständig der Geruch nach Öl, Bremsflüssigkeit, Abgasen und eben schwitzenden Männerkörpern. Wie es in einer Werkstatt nun mal ist. Wir sind schließlich keine Parfümerie. Natürlich dusche ich mich, bevor ich nach Hause gehe. Trotzdem hat man den Geruch ständig in der Nase. Und ich mag es ja auch, schon immer. Es gehört seit meiner Kindheit einfach dazu. Aber der Kerl hier ist im Gesamtpaket einfach dazu geeignet, dass mir der Unterschied auffällt. Wenn er jetzt nicht so arrogant wäre …

Um mich von diesem und weiteren sinnlosen Gedanken bezüglich des Unbekannten abzulenken, erkläre ich Schritt für Schritt, was ich mache. Zwar bin ich mir sicher, dass der Kerl kein Wort von dem versteht, was ich sage, dennoch hört er aufmerksam zu und brummt hin und wieder zustimmend. Jedenfalls gehe ich davon aus, dass es zustimmend gemeint ist. Ihn ansehen kann ich nicht, sonst ist meine Konzentration auf das Wesentliche sofort wieder dahin. Eine Viertelstunde später bin ich fertig, mein Werkzeug und die Decke wieder sicher verstaut. Mr. Technikniete sitzt bereits in seinem Auto und sieht zu mir hoch.

»Nicht vergessen: So schnell wie möglich austauschen lassen«, erinnere ich ihn nochmals. Stumm nickt er. »Ach, und wenn die meckern wegen der Reparatur, sollen sie sich an mich wenden. Leider hab ich keine Karte einstecken.« Ich deute auf die Werbung auf der Autotür. Bestimmt wird er in der Lage sein, sich den Namen der Werkstatt zu merken. »Frag einfach nach Jörg«, setze ich noch hinzu. Wer weiß schon, was dem schicken Autohaus einfällt, weil ich am Kabel herumgebastelt habe?

»Okay«, sagt er, nickt noch mal und schließt dann die Tür. Wenige Sekunden später stehe ich wie bestellt und nicht abgeholt noch immer an der gleichen Stelle und sehe dem sich entfernenden Cabrio hinterher.

»Bitte sehr. Gern geschehen«, brumme ich, als ich mich in Bewegung setze, um meine Fahrt fortzusetzen. So ein Idiot … Aber ein hübscher Idiot, der wie so viele andere sein Warndreieck vergessen hat wieder einzusammeln. Mürrisch vor mich hinmurmelnd gehe ich dorthin, klappe das Teil zusammen und stecke es zu meinen Sachen in den Kofferraum.

Knapp eine Stunde später bin ich am Ziel und bringe meine Sachen nach und nach in die uns zugeteilte Box. Deswegen liebe ich die Strecke hier. Für jeden ist eine Garage vorhanden, in der sie in Ruhe arbeiten können. Als ich alles so weit verstaut habe, kommen auch mein Schützling Maxim und seine Eltern. Ab da hat mich der Job voll im Griff. Ich helfe Frank beim Abladen des Karts vom Hänger und bringe die restlichen Utensilien in die Box. Gemeinsam mit Maxim überprüfe ich, ob das Kart die Fahrt unbeschadet überstanden hat. Manchmal haben Schlauchschellen und Schrauben die fiese Angewohnheit, sich durch die Fremdbewegung beim Transport zu lösen. Mein Schützling dreht eine Proberunde und dann heißt es warten. Langweilig wird es mir jedoch nicht. Natürlich kennt man sich untereinander aus den vergangenen Saisons. Man mag sich oder auch nicht und pflegt an solchen Wochenenden die bestehende Freundschaft oder eben auch nicht.

Heute ist besonders viel los. Einige findige Pressevertreter sind natürlich auf unsere gemeinsame Vergangenheit gestoßen und wollen mich über den »kleinen Jungen« Magnus ausquetschen. Obwohl wir seit vielen Jahren keinen Kontakt mehr haben, war er mein Freund. Von daher schweige ich, sobald die Fragen über die Rennen hinaus in den Privatbereich gehen. Geht ja keinen was an, was sein liebstes Schulfach oder sein lustigster Streich waren, als wir gemeinsam die Schulbank gedrückt haben. Es sei denn, er erzählt es selbst. Außerdem habe ich auch keine Lust, über den eventuellen Verlauf meiner Karriere zu sprechen, die es nie gegeben hat. Und das sage ich auch so. Die Reporterin reißt daraufhin die Augen auf und sieht über meine Schulter zur Strecke. Schnell drehe ich mich um. Was ich zu sehen erwarte, weiß ich nicht. Jedenfalls rechne ich nicht damit, dass Magnus nur einen halben Meter von mir entfernt dasteht und frech grinst. Ich schnappe nach Luft. In natura sieht er noch tausendmal heißer aus als auf den Fotos oder im Fernsehen.

»Also, ich hab es immer bedauert, dass wir nie endgültig klären konnten, wer von uns nun der bessere Fahrer ist«, erklärt er und legt mir dabei den Arm um die Schultern. Seine Augen funkeln belustigt und mir wird heiß und kalt gleichzeitig unter diesem Blick. Der ist genauso wie früher, wenn wir gemeinsam Streiche ausgeheckt oder auf den Start des nächsten Rennens gewartet haben.

Höflich verabschiedet er sich von ihr und verspricht, für weitere Fragen gern nachher allen zur Verfügung zu stehen. Dann schiebt er mich hinter die Garage.

»Hallo Jorge«, sagt er lächelnd. »Gut siehst du aus! Wie geht es dir?«, will er wissen. Wie früher redet er ohne Punkt und Komma. Das ist der Magnus, den ich kenne. Nicht diese kühle, distanzierte Person, die er meistens darstellt.

»Hey Magnus.« Meine Stimme zittert leicht. So früh auf ihn zu treffen, hatte ich nicht erwartet. Schon gar nicht, dass wir jetzt allein hier stehen. »Danke, gut so weit. Viel Arbeit und wenig Zeit. Du weißt ja, wie das ist.« Das Kompliment ignoriere ich jetzt erst mal. Trotzdem spüre ich, wie ich unter seinem forschenden Blick rot werde. Was ist denn heute nur mit mir los? Erst will ich diesem Anzugtypen fast an die Wäsche, nur weil er gut riecht, und jetzt werde ich rot, weil mir jemand sagt, dass ich gut aussehe. Na ja, nicht irgendjemand. Der Junge, in den ich mal verliebt war. Der jetzt ein Mann ist und ein berühmter Rennfahrer.

Er lacht leise. »Also alles wie immer«, stellt er fest und ich nicke zustimmend. »Hast du heute Abend Zeit und Lust, was mit mir essen zu gehen? Ich muss erst morgen wieder zurück beim Team sein. Bin also noch das ganze Wochenende hier.« Ich bin etwas überrumpelt. Sowohl von seiner Anwesenheit als auch der Frage. »Wir könnten über die alten Zeiten quatschen«, schlägt er vor, als ich nicht sofort antworte.

»Äh, ja klar. Gerne«, stimme ich leicht verdattert zu. Stolz darauf, dass ich es noch zu einer Antwort geschafft habe, entgleitet mir die Kontrolle über meine Zunge. »Und danke, du siehst auch gut aus.«

Magnus legt den Kopf schräg, sieht mich noch mal intensiv an. »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Kleiner«, sagt er leise und tritt noch einen Schritt näher. Flüchtig umarmt er mich. Ich glaube seine Lippen auf meiner Wange zu fühlen, dann ist er weg und ich stehe vollkommen verwirrt da. Erst die Stimme von Maxim, die panisch »Jööööööööörg« ruft, bringt mich zurück in die Realität.

 

2

Stefan

 

Das darf doch alles nicht wahr sein! Diese Woche kann man getrost abhaken. Nicht nur, dass die Verkäufe eher schleppend waren. Meine Mutter hat mir jeden Abend am Telefon die Ohren vollgeheult, weil mein versoffener Vater wieder das ganze Geld in der Kneipe gelassen hat. Mein kleiner Bruder ist abgetaucht, weil er – nicht zum ersten Mal – Mist gebaut hat. Also, Mist im Sinne von Straftat. Eine Zeit lang dealte er mit Drogen und vertickte Joints an Schulen oder jagte als Taschendieb alten Omis einen ordentlichen Schreck ein. Was es derzeit ist, weiß ich nicht und will es eigentlich auch nicht wissen. Doch ich fürchte, ich werde es früher erfahren, als mir lieb ist. Dass er urplötzlich verschwunden ist, bestätigt meinen Verdacht nur. Vermutlich versteckt er sich gerade. Wahlweise vor der Polizei oder irgendwelchen Kriminellen, denen er etwas schuldet.

Aber viel schlimmer ist, dass mein geliebtes Schätzchen jetzt gerade merkwürdig blinkt. Dabei besitze ich diesen Traum von Auto gerade mal vier Wochen. Beinahe zehn Jahre habe ich jeden verdammten Cent gespart. Als ich vor zwei Monaten diesen Traumwagen gesehen habe, war klar, dass ich ihn haben muss. Ein BMW F23, für Uneingeweihte ein 2er Cabrio, Midnight blue metallic, denn das von mir bevorzugte hellere Blau gibt es nur für die wesentlich teurere M-Variante. Dafür hätte ich aber weitere zehn Jahre sparen müssen. Der Wagen ist einfach nur heiß. Echt, als ich das Angebot im Autohaus sah, wusste ich, dass ich ihn einfach haben muss. Und ja, ich schäme mich nicht, zu sagen, dass mir beinahe einer abgegangen ist, als ich das erste Mal den Motor gestartet habe.

Nein, ich bin nicht irgendwie seltsam. Ich mag Autos. Schnelle, schicke Autos, um genau zu sein. Meine Güte, jeder hat doch einen Spleen. Ich kenne Leute, die sich kaum beherrschen können, wenn sie Notizbücher in den unterschiedlichsten Variationen sehen. Und ich mag eben … na, ihr wisst schon. Ja, gut. Es ist ein teures Hobby. Vor allem wenn man nicht gerade mehrere tausend Euro im Monat verdient. Gerade deshalb bin ich so sauer, dass mein Schätzchen offenbar so schnell schon murrt. Andere würden vielleicht einfach schulterzuckend weiterfahren, aber ich verstehe von diesem ganzen Kram leider nichts und die Angst, einen ernsthaften Schaden zu verursachen, wenn ich die Warnleuchte ignoriere, ist einfach zu groß.

In dieser entlegenen Gegend gibt es nicht allzu viele Parkmöglichkeiten. Bei der nächsten Haltebucht halte ich an. Mit schnellen Schritten und dem Warndreieck in der Hand laufe ich los und zähle leise bis hundert, um die Entfernung grob abzuschätzen. Noch auf dem Rückweg zum Wagen hole ich mein Handy hervor und wähle die Nummer vom ADAC. »Willkommen. Sie haben den Notruf …« Ja, ja. Komm zum Punkt. »… Sie sprechen mit Maike Habenicht. Was kann ich für Sie tun?«

Eine Frau. Na, klasse. Nicht, dass ich als Mann Ahnung von Autos hätte, aber eine Frau …?

»Mein Auto ist liegen geblieben«, informiere ich die Dame knapp. Okay, es ist übertrieben, aber ein wenig Druck kann nie schaden.

»Um welche Art Fehler handelt es sich denn?«

»Woher soll ich das denn wissen? Mein Wagen ist gerade mal vier Wochen alt. Vielleicht ist es ein Serienfehler. Sie sollten schleunigst jemanden schicken. Und zwar jemanden, der wirklich Ahnung hat.« Nicht, dass die mir irgend so einen abgeranzten Typen herfahren lassen, der sich nicht auskennt.

»Wie lautet denn Ihre Mitgliedsnummer?« Die Stimme der guten Maike ist plötzlich deutlich kälter. Blöde Kuh.

»Hab ich nicht zur Hand«, erkläre ich. Gut, das liegt daran, dass ich kein Mitglied beim ADAC bin. Denn das kostet Geld. Etwas, das ich derzeit nicht allzu viel habe.

»Name?«

»Stefan Wegemeyer.«

Ich höre sie tippen. »Mit ey

»Mhm«, mache ich zustimmend.

»Tut mir leid, jemand mit diesem Namen ist bei uns nicht geführt. Sind Sie sicher, dass Sie Mitglied im ADAC sind?«

Ich presse die Lippen aufeinander und bringe schnell »Bin ich nicht« hervor.

»Das ist gar kein Problem. Sie können direkt bei unserem Mitarbeiter eine Mitgliedschaft beantragen, wenn er bei Ihnen eintrifft.« Genau das, was ich vermeiden wollte.

»Geht es nicht auch so? Ohne Mitgliedschaft?«, frage ich und versuche, all meinen Charme in meine Stimme zu legen.

»Sie müssten dann die Kosten des Abschleppdienstes selbst zahlen. Glauben Sie mir, mit der Mitgliedschaft kommen Sie billiger weg.« Ich seufze. »Von welchem Hersteller ist denn Ihr Auto?«

»Ein BMW«, murmle ich.

»Na, dann schauen Sie doch mal innen auf Ihre Kofferraumklappe. Dort klebt die Nummer vom BMW-Pannenservice. Der wird Ihnen bestimmt weiterhelfen können.« Bevor ich etwas erwidern kann, hat die Schnepfe aufgelegt. Na, die bildet sich vielleicht was ein.

Ich ziehe mein Jackett aus. Zwar ist es noch nicht allzu warm, dennoch gerate ich langsam ins Schwitzen. Außerdem möchte ich so schnell wie möglich nach Hause, denn ich muss mich noch frisch machen. Moritz hat sich vorhin gemeldet. Er ist einer meiner Kollegen und mittlerweile mein bester Freund. Wir arbeiten als Pharmareferenten bei einem großen Konzern. Hört sich toll an. Klar, denn Pharmareferent klingt hochtrabend. Nicht so wie Klinkenputzer, obwohl dieser Begriff treffender wäre. Denn nichts anderes tue ich. Tagtäglich fahre ich von einer Apotheke zur anderen und versuche denen unsere Ware anzudrehen. Sicher nicht mein Traumjob, aber ich kann davon leben. Außerdem mögen mich meine Kunden. Na ja, zumindest die meisten.

Moritz’ Frau ist heute Abend bei ihrem Mädelsabend, was bedeutet, dass er sich gern mit mir treffen möchte – zum Pokern. Zumindest ist es das, was er ihr erzählt. Wenn sie wüsste, was wir wirklich spielen …

 

Das Telefonat mit dem Pannenservice ist auch nicht sonderlich zufriedenstellend. Da ich leider nicht sonderlich viel Ahnung von der Technik habe, war eine Lösung per Telefon nicht machbar. Nachdem er mich in eine Werkstatt durchgestellt hat, habe ich einen Mann am Telefon. »Ich komm gerne vorbei und seh mir das Problem an. Das kann aber noch dauern, weil ich warten muss, bis mein Kollege wieder da ist.«

»Haben Sie für solche Dinge keine Notfallbesetzung?«, frage ich. Zugegeben, nicht gerade freundlich.

»Doch und genau deswegen müssen wir leider warten, denn mein Kollege ist ebenfalls zu einem Notfall unterwegs und ich muss auf den Wagen warten.«

»Wie lange?«, frage ich ungehalten.

»Zwei Stunden, schätze ich.«

»Zwei? Na klasse!« Echt, heute sind alle gegen mich. Was habe ich eigentlich verbrochen?

»Wenn es Ihnen zu lange dauert, rufen Sie doch den ADAC an und …«

»Hab ich schon«, unterbreche ich ihn unwirsch.

»Aha. Und?«

»Ich bin kein Mitglied«, erkläre ich knapp. »Und sehe es auch nicht ein, für die Reparatur eines Neuwagens Geld auszugeben.«

»Ah, ich verstehe.« Der Typ lacht leise. Was auch immer der so amüsant findet. »Also, warten Sie so lange?«

»Ja, ich warte«, erkläre ich. »Was soll ich auch sonst tun?« Bevor ich mir noch weiteres Lachen anhören muss, drücke ich das Gespräch weg. Der Akku meldet sowieso bereits seinen baldigen Leerstand an. Na, das werden ja tolle zwei Stunden.

»Hallo! Kann ich Ihnen vielleicht helfen?«

Ich drehe mich hastig um. Wo kommt der Typ denn her? Ich habe gar nicht mitbekommen, dass jemand hinter mir gehalten hat. Der Kerl sieht nicht schlecht aus. Zumindest wenn man mal von den zerschlissenen Klamotten absieht. Aber die Augen gefallen mir und diese kleinen Grübchen an seinem Mund. Sein Körper macht einen trainierten Eindruck. Offenbar ist er schwere körperliche Arbeit gewohnt. Das wäre doch nach meinem Geschmack. Also zumindest, nachdem er sich erst einmal ausgiebig geduscht hat. Ich steh nicht so auf Dreck. Einer meiner Verflossenen meinte mal, ich sei nahezu zwanghaft von Sauberkeit besessen. Der wollte mich sogar zu einem Psychologen schleppen, nur weil ich mir lieber einmal mehr die Hände wasche, bevor ich mir noch irgendwelche Keime einfange.

Zum Glück versteht Moritz mich. In dieser Hinsicht passen wir gut zusammen. Alles andere stimmt weniger überein. Allem voran die Tatsache, dass er mit einer Frau verheiratet und natürlich weder schwul noch bisexuell ist. Klar …

 

Der Typ sieht mich noch immer lächelnd an. Vielmehr starrt er geradezu. Spielen wir etwa in der gleichen Liga? Das wäre ja mal was. Ein Typ, der nicht ständig Angst hat, jemand könnte ihm auf die Schliche kommen. Andererseits der Schmutz … Mein Blick bleibt an seinen Händen hängen und ich unterdrücke ein Schütteln. Nee, mit den Dreckpfoten wird der mich sicher nicht anfassen. Schnell besinne Ich mich auf seine Frage.

»Können Sie das denn?« Ich klinge absichtlich etwas arrogant. Soll er ruhig merken, dass er bei mir keine Chance hat. Vielleicht ist er ja auch nur scharf auf den Wagen.

Ein kurzer Wortwechsel sowie ein Blick auf die Werbung an seinem Auto erklären, dass er offensichtlich Automechaniker ist. Na, manchmal muss man eben auch Glück haben.

Seine Bitte, die Motorhaube zu entriegeln, irritiert mich ein wenig. Schließlich ist er doch der Fachmann. Außerdem habe ich mich dahingehend noch nicht allzu sehr mit meinem Schätzchen befasst.

Was macht er denn jetzt? Der will doch nicht mit seinen verdreckten Klamotten in meinen Wagen? »He! Was machen Sie denn da?« Das bekomme ich aus den Ledersitzen doch nie wieder heraus.

»Wonach sieht es denn aus? Ich öffne die Motorhaube.«

»Aber passen Sie bloß auf! Ansonsten zahlen Sie die Reinigung!« Also wirklich. Ich weiß ja, dass es Menschen gibt, die nicht sonderlich Wert auf Sauberkeit legen, aber ein wenig Achtung vor dem Eigentum anderer kann ich doch wohl erwarten.

Während der Typ in den Motorraum schaut, stelle ich mich neben ihn. Nicht, dass er noch mehr kaputt macht oder mir noch irgendwas klaut. Man weiß ja nie.

Hm, riechen tut er mal nicht schlecht. Er hat definitiv erst vor Kurzem geduscht. Also doch jemand, der Wert auf Körperhygiene legt. Sein Shirt spannt sich um seinen Oberkörper und ich kann das Spiel seiner Rückenmuskulatur erahnen. Ich stehe auf kräftige Kerle. Also kräftig im Sinne von muskulös, nicht im Sinne von fett. So, wie er sich vorbeugt, da könnte man ihm glatt die Hose runterziehen und …

»Was ist denn überhaupt passiert?«, fragt er plötzlich und zuckt zusammen. Ja, ich bin ihm ziemlich auf die Pelle gerückt. Nach kurzem Räuspern erkläre ich ihm das Problem. Gleich darauf läuft er geschäftig hin und her, schaut sich die Anzeige auf dem Armaturenbrett an und dann wieder den Motor. »Lassen Sie mal bitte den Motor an.« Ähm, während er davorsteht? Einfach so? »Da passiert schon nix, ich muss mir nur mal den Motor anhören. Explodieren tun solche Dinger heutzutage nur noch sehr selten.« Na, der hält sich ja wohl für einen tollen Scherzkeks, was?

Ich starte den Motor und lehne mich zur Seite, um zu sehen, was er da macht. Mit geschlossenen Augen steht er da und lauscht. Sein Gesicht sieht vollkommen entspannt aus. Ob er so auch nach dem Sex aussieht?

Meine Güte! Was stelle ich mir denn schon wieder vor? Ich sollte zusehen, schnell von hier wegzukommen und dann mit Moritz meinen Hormonstau beseitigen. Das ist ja nicht mehr auszuhalten.

Offenbar findet er schnell den Fehler – Marderbiss. Na, klasse!

»Ich kann Ihnen das erst mal reparieren«, erklärt er. »Dauert nur ein paar Minuten.« Mir fällt ein Stein vom Herzen. Ich muss keine zwei Stunden warten. Auf seinen fragenden Blick hin stimme ich schnell zu. Er soll sich bloß beeilen.

Als er wieder hin- und herläuft, mustere ich ihn noch einmal eingehender. Da steckt auf jeden Fall ein knackiger Körper unter den Arbeitsklamotten. Einer, der Muskeln von der Arbeit und nicht aus dem Fitnessstudio hat. Ich seufze leise, was der Typ nicht zu hören scheint. Wie sich die festen Muskeln wohl anfühlen, wenn sie hart arbeiten? Ohne darüber nachzudenken, stelle ich mich neben ihn und tue so, als interessiere ich mich dafür, was er da tut oder erklärt. Ich verstehe kein Wort, aber ich war schon immer gut in Kompetenzsimulation. Nett lächeln, an den richtigen Stellen nicken oder leise brummen. Das passt schon. Ich bin kurz davor, seinen Oberarm zu streifen, doch der Gedanke an die Keime, die womöglich in den Klamotten kleben, hält mich im letzten Moment zurück. Dennoch wirkt dieser Körper äußerst verführerisch auf mich.

Moritz ist nicht so muskulös, sondern eher das sprichwörtliche schmale Hemd. Zwar befindet sich auch an seinem Körper kein Gramm zu viel Fett, aber trainiert ist er nicht.

Ein paar Mal atme ich unauffällig tief ein. Der Geruch gefällt mir. Dieses frische Duschgel passt zu ihm und sollte er schwitzen, riecht man es zumindest nicht. Zum Glück. Es gibt nichts, was meine Libido schneller verscheucht als nach Schweiß stinkende Kerle. Egal, ob durch reine Hitze, körperliche Arbeit oder Sex. Daher könnte mir der Typ hier gefallen. Nein, er tut es bereits. Schlecht, ganz schlecht. Denn ich bezweifle, dass er sich nur für ein kurzes Stelldichein meinen Vorgaben einer ausführlichen Körperreinigung unterziehen wird. Aber ein wenig träumen wird ja noch erlaubt sein. Appetitanregung sozusagen. Jetzt beugt er sich vor und ganz kurz drückt er so seinen festen Hintern gegen meine Hand, die sich gerade auf der richtigen Höhe befindet. Mein Schwanz reagiert sofort. Ich hoffe nur, man sieht es nicht zu sehr durch die Anzughose.

Bevor mein Denken komplett aussetzen kann, ist er bereits fertig. Noch während er seinen Kram zurück zu seinem Wagen bringt, setze ich mich schnell in mein Auto. Seine Rückansicht trägt definitiv nicht dazu bei, dass sich der Aufstand in meiner Hose legt. Verdammt, wann haben das letzte Mal lediglich der Anblick und der Geruch eines Typen mich so heißgemacht? Ich muss hier weg, und zwar schleunigst. Er erzählt mir noch was von wegen Reparatur, aber ich höre gar nicht mehr wirklich zu. Bevor ich weiter darüber nachdenke, fahre ich bereits wieder. Der Fahrtwind kühlt mein überhitztes Hirn wieder ein wenig ab. Zum Glück. Nicht, dass ich noch einen Unfall baue. Schnell stelle ich den Wagen in die Garage, die ich extra angemietet habe. Schließlich soll ja nicht irgendein Vogel seine Notdurft auf dem teuren Lack verrichten oder ihn irgendwer zerkratzen.

Beim Aussteigen sehe ich Fingerabdrücke auf der Fahrertür. Seufzend hole ich das Mikrofasertuch aus dem Handschuhfach und wische sie weg, bevor ich in meine Wohnung eile.

 

Erleichtert lasse ich das warme Wasser auf mich niederprasseln. Dank dieses Mechanikers habe ich noch eine gute Stunde, bevor Moritz auftaucht. Vorhin habe ich mich noch über seine Nachricht gefreut, doch der Vorfall mit meinem Schätzchen und der Stress der vergangenen Woche wirken auf mich wie ein Kübel mit Eiswasser. Hinzu kommt das bevorstehende Quartalsgespräch mit meinem Chef am Montag. Ständig drängt er darauf, dass sich meine Zahlen steigern müssen, dabei können sich diese durchaus sehen lassen – von letzter Woche einmal abgesehen. Viel mehr Sorgen bereitet mir der Gedanke an den morgigen Besuch bei meinen Eltern. Meiner Mutter zufolge hat mein Vater – mal wieder – seinen Job verloren. Alkohol ist auf dem Bau zwar mittlerweile verboten, dennoch wird das eine oder andere Bierchen durchaus toleriert. Aber stockbesoffen den Estrich auf die bereits verlegten Fliesen zu kippen und dann auch noch im Nebenraum einzupennen, kommt bei keinem Bauherren sonderlich gut an. Ich höre schon jetzt ihr Gejammer, mit dem sie mich indirekt um Geld bittet. Offen danach fragen oder es gar verlangen würde sie nie. Aber sie weiß auch so, wie sie es bekommt. Verdammter Mist! Ich bin einfach zu weich.

Ich weiß nicht, wie oft ich ihr schon gesagt habe, sie solle meinen Vater verlassen, aber das lehnt sie vehement ab. Schließlich liebt sie ihn und außerdem hat sie Angst, dass er ohne sie komplett abstürzt. Diese Befürchtung ist sicherlich nicht unbegründet, obwohl ich mich manchmal frage, ob es noch tiefer geht.

 

Ich bin gerade fertig mit rasieren und stehe nur mit einem Handtuch um die Hüften in meinem Bad, als es klingelt. Moritz? Na, das ging ja schnell. Dann war er sicher nicht mehr zu Hause. Gut, er kann ja bei mir duschen. Wäre nicht das erste Mal.

Ich drücke auf den Türöffner und warte. Anziehen brauche ich mich jetzt nicht mehr. Macht nur später unnötig Arbeit. Schmunzelnd nehme ich die hastigen Schritte wahr. Da hat es aber jemand eilig. Meist bleiben uns auch nur ein paar Stunden, bevor er wieder fährt und den liebenden Familienvater mit Frau, Kind und Häuschen spielt.

»Na, du hast ja ei…« Ich unterbreche mich selbst. »David?« Mein Bruder rennt an mir vorbei in meine Wohnung. »Was …?« Verwirrt beobachte ich, wie er in die Küche hastet. Hektisch öffnet und schließt er sämtliche Türen. »He! Was soll das?«, blaffe ich ihn an.

»Hast du keine Cola?«

»Nein.« Er weiß genau, dass ich so einen ungesunden Kram nicht trinke.

»Limo? Irgendwas mit Zucker?«

Ich ziehe die Augenbrauen zusammen. Er sieht blass aus, zittrig und verschwitzt. Außerdem stinkt er und dreckig ist er ebenfalls. »Geh dir die Hände waschen«, befehle ich ihm. »Dann bekommst du ein Glas Apfelsaft.«

Kurz sieht er mich trotzig an, doch dann folgt er meiner Aufforderung. Mein Bruder ist Diabetiker. Noch so ein Grund, weshalb unsere Mutter immer halb umkommt vor Sorge. Schließlich hat er es bereits früher nicht allzu genau mit seiner Medikation genommen. Nur wenn sein Blutzuckerspiegel wieder einmal komplett entgleist, besinnt er sich und achtet wenigstens ein paar Tage auf sich.

Ich fürchte schon, er ist im Badezimmer umgekippt, doch dann kommt er zögernd zurück und krallt sich das Glas, das ich ihm hingestellt habe. »David«, gebe ich seufzend von mir.

»Sag nichts.« Auffordernd hält er mir das leere Glas entgegen und ich schenke ihm erneut ein. Als er auch dieses ausgetrunken hat, mustert er mich ausgiebig und hebt belustigt eine Augenbraue. »Wartest du auf dein Betthäschen?«

»Geht’s dich was an?«, frage ich gereizt.

»He!« Abwehrend hebt er die Hände. »Alles gut. Mir doch egal, dass du dir regelmäßig den Arsch versilbern lässt. Obwohl deine Laune darauf schließen lässt, dass es viel zu selten geschieht.«

»Was willst du hier? Mama macht sich Sorgen.«

David schnaubt abfällig. »Ach, die kann mich mal. Dad brüllt wieder die halbe Nachbarschaft zusammen und wenn ich mal Geld mit nach Hause bring, wird mir gleich wieder unterstellt, es geklaut zu haben.«

»Und? Stimmt es?«

»Ich hab kein Geld geklaut«, erwidert er ausweichend.

Ich schließe die Augen und atme tief durch. »Verdammt, David. Wann hörst du endlich mit dem Mist auf?«

»Wenn es sich nicht mehr lohnt?«

Kopfschüttelnd sehe ich meinen Bruder an. Gerade mal volljährig und steckt bereits schon so tief drin. »Brauchst du noch irgendwas? Was zu trinken? Zu essen?«

»Ein Bett wär nicht schlecht.«

»Du hast eins«, erinnere ich ihn. »Ich lass dich ganz bestimmt nicht hier schlafen.« Wer weiß, was er mir dann alles klaut, nur um es zu Geld zu machen? Wahrscheinlich würden dann noch irgendwelche drogenabhängigen Freunde von ihm hier rumhängen. Nicht mit mir.

»Du kannst mich!«, brüllt er plötzlich. »Scheiß Bruder! Bist nie da, wenn man dich braucht!«

Ich kenne seine Ausbrüche inzwischen. Deshalb reagiere ich gelassen, zumindest äußerlich. Innerlich brodelt es in mir. Zum einen, weil seine Vorwürfe ungerechtfertigt sind und zum anderen, weil sie dennoch ein schlechtes Gewissen in mir hervorrufen.

David springt auf und rennt zur Haustür. »He!«, rufe ich. »Nimm dir wenigstens was zu essen mit.« Doch er ist bereits im Treppenhaus. Ich höre ihn erneut schimpfen und gleich darauf steht ein verwirrter Moritz vor mir.

»Ihr habt ja komische Typen hier im Haus.« Ich zucke mit den Schultern. Moritz weiß nichts von meinem Bruder oder meiner Familie überhaupt. Was Details über diese angeht, bin ich alles andere als mitteilungsbedürftig.

»Uh! Du siehst heiß aus.« Moritz grinst süffisant und beugt sich leicht vor, um mir einen kurzen Kuss zu geben. Schmunzelnd geht er an mir vorbei in die Wohnung. »Ich beeil mich mit dem Duschen.«

Während das Wasser rauscht, räume ich Davids Glas in die Spülmaschine, schüttle das Bett auf und lege die nötigen Utensilien parat. Dabei ist meine Stimmung jetzt noch mehr im Keller, als sie es vorher schon war.

»Alles in Ordnung?« Ich zucke zusammen, als Moritz plötzlich hinter mir steht und mir ins Ohr flüstert. Sein nackter Oberkörper schmiegt sich gegen meinen Rücken. Wasser tropft aus seinen nassen Haaren auf meine Schulter.

»Hm, ja«, murmle ich.

»Sicher?«

Meine Güte. Was nervt der Kerl denn heute so? Ich dachte, wir wollen vögeln. »Klar, lass uns anfangen.« Ich drehe mich um und lege das Handtuch ab. Moritz sieht mich skeptisch an. »Was?«, frage ich unwirsch, was ihn zusammenzucken lässt.

»Nichts, du bist nur heute so … ich weiß auch nicht.«

»War ’ne harte Woche, okay?«, erkläre ich ungeduldig.

Moritz’ Blick gleitet an mir herab. »Na, momentan wohl eher nicht.« Ein Witz, den ich unter anderen Umständen sicher lustig fände. Aber jetzt nervt er mich nur, ebenso wie sein Gerede.

»Willst du reden oder ficken?«

Moritz entgleisen kurz die Gesichtszüge, bevor er antwortet. »Ficken.«

Gute Wahl. Ich nicke zum Bett und er versteht. Schnell kniet er sich hin und wartet darauf, dass ich anfange. Im Stillen entschuldige ich mich bei ihm, denn das wird heute sicher nicht sonderlich einfühlsam.


Dir hat die Leseprobe gefallen?

 

… oder in allen anderen E-Book-Shops